Von Bibliotheken und Kriegerinnen: Junge Kenianer und ihre Geschichte
Angela Wachuka (l) und Wanjiru Koinange (r) vor der McMillan-Bibliothek im Stadtzentrum Nairobis. Foto: Gioia Forster/dpa
In Kenia ist die koloniale Vergangenheit noch immer überall zu spüren - auf den Straßen, in der Sprache und in den Schulen. Doch immer mehr junge Kenianer wollen sich davon lösen und ihre Geschichte neu erzählen.
Nairobi (dpa) - Flankiert von zwei Steinlöwen steht die McMillan-Bibliothek prachtvoll im Zentrum von Nairobi. Breite Stufen führen hoch zu sechs eleganten neoklassizistischen Säulen, die den Eingang bewachen. Und doch wirkt das Gebäude der Kolonialzeit unscheinbar, fast unsichtbar. Die Menschen streifen daran vorbei, gehen zum Beten in die Moschee links oder in das belebte Swahili-Restaurant rechts davon.
Die 1929 erbaute Bibliothek wird im Stadtbild von Nairobi fast vergessen. Und doch ist sie ein wesentlicher Bestandteil von Nairobi und Kenia - so wie die britische Kolonialzeit selbst. Nun beanspruchen immer mehr junge Kenianer die komplexe Vergangenheit auf kreative Art und Weise neu für sich. So soll auch bald die McMillan-Bibliothek - dank zwei Pionierinnen - verwandelt werden.
Der Geist der ehemaligen britischen Kolonialmacht ist in dem ostafrikanischen Land fast allgegenwärtig. Die Autos fahren links, die Richter am Obersten Gerichtshof tragen Perücken, die Country-Clubs sind gut besucht und Schüler gehen mit Uniform in die Schule.
Dass Museen in Großbritannien, sowie in etlichen anderen Ländern, noch immer kenianische Artefakte und Kulturschätze in ihrem Besitz haben, ist auch hier vielen Menschen ein Dorn im Auge. «Es beraubt Afrikaner ihrer Identität», sagt Dennis Opudo, der Leiter der Abteilung für Anthropologie am Nairobi National Museum. Er spricht etwa von Grabtafeln des Volkes der Giriama, die Verstorbene nachbilden und als Vermittler zwischen der Welt der Lebenden und derjenigen der Vorfahren agieren.
Die koloniale Vergangenheit macht sich vor allem auch in Kenias Bildungssystem bemerkbar. «Im Geschichtsunterricht für Kinder geht es im wesentlichen um Europa und Amerika», sagt Opudo. «Es wird nur wenig auf afrikanische Geschichte eingegangen.»
Das frustriert viele Kenianer. Man hört von den Heldentaten europäischer «Abenteurer» und «Entdecker». Doch wer lehrt etwa über die Kämpferin Mekatilili, die den Briten Widerstand leistete?
Die junge Generation nimmt das selbst in die Hand. «Afrikanische Geschichten sollten von Afrikanern erzählt werden, auf die afrikanische Art», erklären Aleya Kassam, Anne Moraa and Laura Ekumbo von der Theatergruppe «Too Early for Birds». Ihr jüngstes, in Nairobi aufgeführtes Stück erzählt von den Heldentaten weiblicher Ikonen aus Kenias Geschichte: Von Mekatilili und einer Kriegerin des Volkes der Nandi, die der Legende nach den Feind ihres Stammes besiegte, bis zur Aktivistin Zina Patel, die sich in der Ära des Präsidenten Daniel Arap Moi für Umweltschutz und Integration einsetzte.
«Indem wir unsere Geschichten erzählen, wollen wir unsere eigenen modernen Legenden schaffen», schreiben die drei Frauen der Theatergruppe. «Unsere Helden aussuchen. Unsere Generation dazu inspirieren, größere und bessere Dinge zu tun.»
Aus alt mach neu - an dieser Verwandlung arbeiten auch Wanjiru Koinange und Angela Wachuka. Die Autorin und die Verlegerin sind durch Zufall auf die alte McMillan-Bibliothek gestoßen. Dort seien 400 000 «Schätze» zu finden, erklären die jungen Frauen - alte Bücher, Bilder und Büsten, das meiste noch aus der Kolonialzeit. Vieles ist verstaubt und steht vergessen in der Ecke. «Der Inhalt der Bibliothek wurde seit den 1970ern nicht mehr aktualisiert», sagen Wachuka und Koinange. Ein öffentliche Bibliothek, von der Öffentlichkeit kaum genutzt.
«Wir wollen sie wiederbeleben», sagt Koinange. Doch die Bibliothek soll im 21. Jahrhundert ankommen. «Wir müssen mit den Zeiten mithalten», fügt Wachuka hinzu. So wollen sie zusammen mit der Stadtverwaltung die Bibliothek in ein Zentrum für Kultur und Literatur verwandeln, in dem die Menschen nicht nur Bücher leihen können, sondern auch Filmvorführungen und Lesungen besuchen können. Vielleicht könne «McMillan», wie die Bibliothek kumpelhaft genannt wird, auch ein Café bekommen. Auf jeden Fall müssten Toiletten her. Und Wi-Fi.
Die zwei Kenianerinnen wollen sich bewusst mit der Vergangenheit des Gebäudes auseinanderzusetzen. «Es wird interessant sein, einen Raum zu erforschen, der nicht für uns bestimmt war», sagt Wachuka. Damit meint sie, dass zunächst nur Weiße die Bibliothek nutzen durften. Das sei auch heute deutlich zu spüren: Etwa seien in der Büchersammlung kaum Werke afrikanischer Autoren zu finden. «Wir werden diese Problematik anerkennen und gleichzeitig einen Ort schaffen, der inklusiv ist», sagt Wachuka.
Über Sir William Northrup McMillan, den Namensgeber der Bibliothek, wissen die Frauen nur wenig. Doch was immer auch über den Mann zum Vorschein kommen sollte - «damit werden wir umgehen», sagt Koinange.